Herr Wolf, Sie haben vor kurzem in einer Fernsehsendung des Südwestrundfunks gesagt: „Vor mir muss niemand Angst haben.“ Zugleich verlangen Sie für die bevorstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie Kostensenkungen. Da kann es manchem Arbeitnehmer in dieser unsicheren Zeit schon Angst und bange werden.
Vor mir muss man tatsächlich keine Angst haben. Und ich denke, bei einem Durchschnittsverdienst von mehr als 60.000 Euro im Jahr haben die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie auch keinen Grund, sich zu fürchten, solange die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Dafür wollen wir Arbeitgeber sorgen, und das heißt aktuell, dass wir auf die Kostenbremse treten müssen.
Haben Sie in den vergangenen Jahren zu starken Lohnerhöhungen zugestimmt? Tarifverträge werden ja immer von beiden Parteien unterschrieben.
Die Metallbranche mit ihren Säulen Auto und Maschinenbau hatte gute Jahre, viele Firmen haben ordentlich verdient und die Arbeitnehmer über nennenswerte Lohnerhöhungen daran teilhaben lassen. Das hat die Arbeitskosten immer weiter erhöht. Die Zeiten haben sich geändert. In der Corona-Krise kämpfen die Firmen mit Umsatzrückgängen von 15, 20, bis zu 30 Prozent. Es gibt keinen Verteilungsspielraum, im Gegenteil.
Ihr Tarifpartner, die IG Metall, wird wohl mit einer Forderung von rund 4 Prozent in die anstehenden Verhandlungen gehen.
Das ist in der aktuellen Lage das falsche Signal. Wir müssen die Arbeitskosten pro Stunde senken, damit wir am Standort Deutschland wettbewerbsfähig bleiben.
Sie sprechen von Umsatzeinbrüchen. Das Geschäft mit China läuft in vielen Firmen aber schon längst wieder hervorragend.
Das stimmt bedingt. Aber dennoch wird die gesamte Branche das Jahr mit mehr als 15 Prozent weniger Umsatz abschließen. Übrigens kann es ja nicht sein, dass Tochterfirmen im Ausland gutes Geld verdienen und den Stammsitz in Deutschland über Wasser halten. Wir müssen schon hier am Standort wettbewerbsfähig sein.
In vielen Firmen gibt es Kurzarbeit, deswegen haben viele Arbeitnehmer schon weniger Geld in der Tasche. Jetzt verlangen Sie weitere Kürzungen.
Zumindest in Baden-Württemberg, teilweise auch in anderen Betrieben, wird das Kurzarbeitergeld tariflich oder betrieblich aufgestockt. Da sind die Einbußen sehr überschaubar. Es muss aus meiner Sicht auch nicht unbedingt sein, dass die Arbeitnehmer weniger Geld in der Tasche haben. Ich habe in erster Linie die Arbeitskosten pro Stunde im Blick. Die kann man beispielsweise senken, indem man Freistellungen reduziert oder die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöht.
Die IG Metall hat eher eine Arbeitszeitverkürzung im Blick.
Eine Vier-Tage-Woche mag für das eine oder andere Unternehmen vorübergehend eine Lösung sein, wenn Arbeitszeit und Lohn in gleichem Maß sinken. Genau das will die IG Metall aber nicht, sie will ja einen Lohnausgleich. Eine generelle Lösung ist die Arbeitszeitverkürzung nicht. Es gibt viele Firmen, die laufen gut, und wohl auch nach Corona brauchen etliche eher Arbeitszeitverlängerung. Vor allem brauchen wir mehr Flexibilität.
Die Tarifparteien haben 2004 das sogenannte Pforzheimer Abkommen geschlossen. Das erlaubt Abweichungen vom Tarifvertrag nach unten. Das schafft doch Flexibilität.
Das Pforzheimer Abkommen ist nicht schlecht. Aber es dauert manch-mal lange, bis ein Betrieb mit der Gewerkschaft zu einer Vereinbarung kommt. Wir brauchen Mechanismen, die schneller greifen.
Wie könnten die aussehen?
Mir schwebt eine automatische Differenzierung vor, und zwar auf zwei Ebenen. Zum einen sollte eine Abweichung vom Tarifvertrag – nach unten natürlich, gegen Abweichungen nach oben hat die Gewerkschaft ja nie etwas – möglich sein, sobald zum Beispiel der Gewinn unter eine bestimmte Schwelle fällt. Die Kriterien dafür müssten natürlich im Tarifvertrag festgelegt werden –mit der Möglichkeit, dass die Betriebsparteien das auch individuell anpassen können.
Und die zweite Möglichkeit?
Geschäftsführung und Betriebsrat sollten auch schon früher – in einem Rahmen, der vorher im Tarifvertrag abgesteckt wird – vom Tarifvertrag abweichen können. Zum Beispiel, wenn der Ertrag zwar noch auskömmlich ist, aber nicht für erforderliche umfangreiche Investitionen in die Zukunft aus-reicht. Das war in der Vergangenheit immer schwierig, da schon bei der IG Metall Verständnis zu wecken.
Sie wollen den Betriebsrat zur Tarifpartei machen und die Gewerkschaft raushalten?
Nein, die Tarifparteien würden ja weiterhin den Rahmen aushandeln. Aber mit der Gewerkschaft wird es auf Betriebsebene oft kompliziert und langwierig. Ohne Tarifparteien geht das viel einfacher, betriebsnäher und schneller. Und das ist wichtig für die Betriebe. Im Übrigen schließen Firmen ja auch heute viele Betriebsvereinbarungen mit den Betriebsräten, ohne dass die Gewerkschaft mit am Tisch sitzt.
Können Sie verstehen, dass die Eigentümer von kleineren Firmen, mit 70 oder 100 Mitarbeitern, solche komplizierten Tarifverträge ablehnen?
Nein, das verstehe ich nicht ganz. Ich gebe zu – das sieht auch die Gewerkschaft –, dass die Tarifverträge oft kompliziert sind, gerade für kleine Betriebe, die keine großen Personalabteilungen haben, daran müssen wir arbeiten. Aber die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband hat ja, neben der Entlastung und der Friedenswirkung eines geschlossenen Tarifvertrags, große Vorteile. Betriebe bekommen sehr gute Beratung – und wenn nur vier oder fünf Arbeitsgerichtsverfahren in einem Jahr anfallen, dann ist es mit Sicherheit günstiger, sich vom Verband vertreten zu lassen, als ein externes Anwaltsbüro zu beauftragen.
Nach 8 Jahren an der Spitze von Südwestmetall wechseln Sie jetzt an die Spitze von Gesamtmetall, dem Dachverband der Branche. Was ändert sich damit?
Das Gesicht natürlich, inhaltlich aber wenig. Mit meinem Vorgänger Rainer Dulger bin ich absolut einig, dass wir die Arbeitskosten senken müssen, um Deutschland als Standort wettbewerbsfähig zu halten. Und wenn man die Einkommen in unserer Branche vergleicht mit dem, was im Handel oder in der Kranken- und Altenpflege bezahlt wird, dann ist eine Atempause bei uns sicher vertretbar. Vielen Beschäftigten ist die Vergütung auch weniger wichtig als die Gewissheit, dass ihr Arbeitsplatz sicher ist.
Dieses Interview ist in der Badischen Zeitung erschienen.