SZ: Wegen Corona steckt die deutsche Wirtschaft tief in der Rezession. Wie ist die Lage in der Metall- und Elektrobranche?
Rainer Dulger: Wir hatten in der Industrie schon ein Jahr Rezession, bevor Corona kam. Die Produktion schrumpfte 2019 um 4,5 Prozent, dieses Jahr werden es 15 bis 17 Prozent sein.
Tut die Bundesregierung genug, damit sich die Wirtschaft erholt?
Die Regierung hat bisher gut reagiert. Ich spreche oft mit unseren ausländischen Geschäftsfreunden. Die ganze Welt beneidet uns um unsere Regierung, unser Parlament und unser Gesundheitssystem.
Ihre Branche steht vor einer Tarifrunde. Die EU erwartet 2021 1,4 Prozent Inflation in Deutschland, der Lohn schrumpft also. Welche Lohnsteigerung können sich die Arbeitgeber für 2020 und 2021 vorstellen?
Über Lohnsteigerungen reden wir, wenn es etwas zu verteilen gibt. Momentan steht alles im Minus. Es gibt nichts zu verteilen. Das ist eine schwere Situation für uns alle.
2018 und 2019 stiegen die Löhne um je vier Prozent. Glauben Sie, die Beschäftigten geben sich diesmal mit nichts zufrieden?
Wir haben im März das Verhandlungspaket eingefroren, um zu sehen, wie sich das in neun Monaten entwickelt. Nun zeigt sich: schlecht! Die Produktivität ging zurück, wir haben dramatische Umsatzeinbrüche, die meisten Firmen schreiben Verluste. Lohnerhöhungen sind weder dieses noch nächstes Jahr realistisch.
Viele Metaller hatten durch die Kurzarbeit Einbußen. Wäre eine kleine Lohnerhöhung nicht doch gerechtfertigt?
Unsere Industrie muss auch noch einen Strukturwandel bewältigen. Da wäre eine Lohnerhöhung falsch. Alle müssen einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten, auch die Beschäftigten. Aber ja, es werden schwierige Gespräche mit den Gewerkschaften.
Die Autofirmen stecken im Umbruch zur Elektromobilität, die Digitalisierung betrifft die ganze Industrie. Was bedeutet der Strukturwandel?
In unserer Branche werden Tätigkeiten wegfallen. Wir müssen die Leistungsfähigkeit unserer Industrie erhalten und beim Fahrzeugbau weiterhin die Nase vorn haben. Es geht darum, bestehende Stellen zu erhalten und neue zu schaffen in neuen Technologien. Deutschland muss auch nach dem Strukturwandel Industriestandort sein. Dafür muss der Standort Deutschland attraktiv bleiben. Wir Arbeitgeber predigen seit Jahren, dass zu hohe Lohnkosten und Lohnnebenkosten Konsequenzen haben. Deshalb muss die Tarifrunde das richtige Signal setzen.
Tesla zog deutschen Autofirmen bei der E-Mobilität davon. Sollen die Beschäftigten mit Nullrunden die Fehler der Firmen bezahlen?
Welche Fehler meinen Sie denn?
Tesla bot acht Jahre vor VW das erste Elektrofahrzeug an.
Ich bin nicht Autospezialist genug, um das zu beurteilen. Aber ich glaube, wir bauen immer noch die besten Fahrzeuge der Welt. Wenn ein Land diesen Strukturwandel bewältigen kann, dann sind wir es. Wir haben die Fachkräfte und das Know-how, um diesen Wandel zu bestehen.
Die IG Metall visierte Anfang 2020 an, sie könne auf eine konkrete Lohnforderung verzichten, weil es ihr vor allem darum gehe, Jobs zu sichern. Dafür forderte sie, dass die Firmen etwa auf einseitigen Personalabbau und Verlagerung von Produktion verzichten. Nun hat die Industrie in den vergangenen zwölf Monaten angekündigt, gut 200 000 Jobs abzubauen. Machen die Firmen so einen Tarifabschluss unmöglich, in dem Lohnerhöhungen nicht im Vordergrund stehen?
Während die Produktion 2020 um 15 bis 17 Prozent sinkt, haben die Firmen bisher nur zwei Prozent der Stellen abgebaut. Sie versuchen also fast um jeden Preis, ihre Mitarbeiter etwa mit Kurzarbeit zu halten. Es gibt nach wie vor keine Hire-and-Fire-Politik. Was unsere Firmen zur Stellensicherung tun, ist weltweit vorbildlich.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wirft Firmen wie Conti und Schaeffler vor, die Krise zu nutzen, um in Deutschland zum Kahlschlag anzusetzen und Arbeit in Billiglohnländer zu verlagern.
Ich kann die Interna einzelner Firmen nicht beurteilen. Keiner baut gerne Stellen ab. Aber eines kann ich sagen: Wir Arbeitgeber haben bei Rente mit 63, Energiewende oder hohen Tarifabschlüssen immer darauf hingewiesen, dass das in schlechten Zeiten nicht mehr finanzierbar ist. Und genau das wirkt sich jetzt negativ aus.
Die IG-Metall hat vorgeschlagen, in der kommenden Tarifrunde eine Vier-Tage-Woche als Option zu vereinbaren – mit einem gewissen Lohnausgleich für Beschäftigte. Was können Sie sich da vorstellen?
Ich kann mir da gar nichts vorstellen. Weil ich bis heute nicht verstehe, wie das mathematisch gehen soll. Wenn alle weniger arbeiten und wir dafür dann noch einen Lohnausgleich bezahlen, geht die Produktivität der Firmen noch tiefer in den Keller und die Kosten steigen. Und das in Zeiten des Konjunktureinbruchs und Strukturwandels! Wer in dieser Lage Arbeit noch teurer macht, als sie ohnehin schon ist, riskiert, dass Firmen auf Dauer Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.
Die Gewerkschaften verweisen auf Studien, wonach es auch positive Wirkungen auf die Produktivität gebe, wenn weniger gearbeitet werde – etwa, weil die Belegschaft motivierter sei.
Das ist leider vollkommener Unsinn. In den letzten zehn Jahren sind die Löhne in der Metall- und Elektro-Industrie um über 30 Prozent gestiegen, die Produktivität nur um drei Prozent. Woher wollen Sie die Produktivitätssteigerung nehmen, um auch nur eine Stunde weniger Arbeitszeit auszugleichen? Oder gar einen ganzen Arbeitstag?
Die IG Metall schlägt ja keinen vollen Lohnausgleich vor…
…das ginge auch nicht ansatzweise. Die Rechnung der IG Metall ist hanebüchen. Kurzfristig ohne Lohnausgleich Arbeitszeit zu reduzieren, weil weniger Aufträge da sind, ist dagegen ein bewährtes Instrument. Aber das gibt es schon im Tarifvertrag. Deshalb war ich erstaunt, dass sich die IG Metall für ihre „neue“ Idee feiern ließ.
Sie lehnen Lohnsteigerungen für dieses und nächstes Jahr ab und die Vier-Tage-Woche auch. Was schlagen Sie vor?
Wir müssen jetzt erst mal ein gemeinsames Verständnis dafür finden, dass es keinen Verteilungsspielraum gibt. Wir müssen auch der unterschiedlichen Lage der Betriebe gerecht werden. Wir brauchen ein sehr filigranes Instrument, das den Bedürfnissen in den einzelnen Regionen und Branchen gerecht wird.
Es wirkt, als lägen Sie und die IG Metall weit auseinander. Halten Sie Streiks in Zeiten von Corona für wahrscheinlich?
Streiks sind die Ultima Ratio. Wir reden jetzt erst einmal miteinander, das findet schon statt, und zwar sehr sorgfältig. Da finden Sie im Moment keinen, der mit der roten Fahne herumläuft. Die Verhandlungen beginnen nicht vor Mitte Dezember. Jeder weiß, dass Arbeitskämpfe um Weihnachten so gut wie ausgeschlossen sind. Jetzt kommt auch noch Corona dazu, da sind sorgfältige Dialoge eher das Mittel der Wahl.
Seit Gründung von Gesamtmetall 1890 stand noch nie eine Frau an der Spitze. Das ist auch nach Ihrem wahrscheinlichen Wechsel an die Spitze der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nicht vorgesehen, Stefan Wolf aus Baden-
Württemberg soll übernehmen.Warum nicht mal eine Präsidentin?
Wir haben sehr qualifizierte Frauen bei uns im Vorstand, die könnten das auch. Aber es kommt immer darauf an, wer aus seiner Lebenssituation heraus ein solch verantwortungsvolles Amt für mehrere Jahre führen kann. Stefan Wolf ist ein überaus erfahrener Mann, ich könnte mir keinen besseren Kandidaten vorstellen. Das hat aber nichts mit dem Geschlecht zu tun. Bei den vielen qualifizierten Frauen, die wir haben, könnte es genauso gut eine Präsidentin geben.
Dieses Interview ist in der Süddeutschen Zeitung erschienen.