Herr Wolf, was bereitet Ihnen und Ihrer Branche derzeit mehr Sorgen: die Warnstreiks der IG Metall oder Lieferengpässe bei wichtigen Komponenten, beispielsweise bei Speicherchips?
Beides, in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Hintergrund. Die Warnstreiks bereiten mir nicht deshalb Sorge, weil sie aktuell kleinere Produktionsausfälle verursachen. Das ist immer so. Was mich besorgt, ist die dahinterstehende Motivation der IG Metall.
Was meinen Sie damit?
Wir hatten von 2018 auf 2019 eine Rezession, wir hatten ein Corona-bedingt sehr schwieriges Jahr 2020. Auch wenn sich das Konjunkturpflänzchen jetzt wieder langsam entwickelt, sind wir weit von den Umsatz- und Ergebniswerten des Jahres 2018 entfernt. Und da ruft die IG Metall zu Warnstreiks auf für Forderungen, die überhaupt nicht in die Landschaft passen bei Umsatzrückgängen in 2020 gegenüber 2019 von im Schnitt 15 Prozent, bei einzelnen Unternehmen sind es 30 Prozent.
Lassen Sie uns kurz auf das Thema Engpässe zurückkommen …
Solche Engpässe hatten wir auch schon zuvor. Das werden wir lösen. Da sind wir als Unternehmer gefordert. Das ist ein operatives Thema, das andere ist ein ideologisches Thema.
Sie sagen, es gebe in dieser Tarifrunde nichts zu verteilen. Glauben Sie ernsthaft, dass die IG Metall nach dem Verzicht auf eine prozentuale Lohnerhöhung fürs vergangene Jahr dieses Jahr wieder eine Nullrunde akzeptiert?
Ich glaube es nicht, aber ich erwarte es. Man kann doch nicht die Augen zumachen und meinen, dass wir die eben erwähnten Umsatzrückgänge einfach wegstecken. Es ist für mich unvorstellbar, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann zu sagen: Jetzt satteln wir beim Lohn nochmal drauf, und das bei den höchsten Löhnen, die wir in Deutschland haben. Da fehlt mir jedes Verständnis. Ich würde mir wünschen, dass die IG Metall jetzt auch mal als Sozialpartner agiert und sagt: Jetzt geben wir den Unternehmen die Zeit, 2021 sich wieder nach oben zu bewegen. Deshalb haben wir fürs erste Halbjahr 2022 eine Einmalzahlung angeboten und eine Tabellenerhöhung fürs zweite Halbjahr. Damit lehnen wir uns schon weit aus dem Fenster, weil niemand weiß, wie sich Corona weiterentwickelt.
Die IG Metall betont, dass sie der Sicherung von Jobs und zukunftsgerichteten Konzepten in dieser Tarifrunde oberste Priorität einräumt; sie will zum Beispiel sogenannte Zukunftstarifverträge. Warum wehren Sie sich gegen solche Vereinbarungen?
Wir wehren uns nicht generell gegen Zukunftstarifverträge. Was wir nicht wollen, ist das, was die IG Metall darunter versteht und wie sie das ausgestalten will. Wir haben seit der Rezession und durch den Strukturwandel schon 160.000 Arbeitsplätze in unserer Industrie verloren. Aber diese Veränderung lässt sich nicht aufhalten, indem ich sage: Ich will eine 32-Stunden-Woche mit Lohnausgleich und verteile die gleiche Arbeit auf mehr Köpfe, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Das wird nicht funktionieren, das wird zu teuer. Wir werden versuchen, möglichst viele Arbeitsplätze zu halten. Aber vor allem in der Produktion werden weitere Arbeitsplätze verloren gehen. Deshalb müssen wir den Menschen Wege öffnen in andere Bereiche, in andere Industrien und ihnen klar machen, dass es auch andere Branchen mit guter Arbeit gibt, zum Beispiel das Handwerk. Solche Themen gehören für mich zum Thema Zukunftstarifvertrag.
Sie fordern mehr Differenzierung und Flexibilisierung. Da gibt es doch schon einiges, etwa basierend auf dem sogenannten Pforzheimer Abkommen, das Abweichungen vom Flächentarif ermöglicht. Warum reicht Ihnen das nicht?
Zunächst einmal stelle ich den Flächentarifvertrag überhaupt nicht in Frage. Aber wir brauchen viel mehr Differenzierung, weil unsere Unternehmen ganz unterschiedlich strukturiert sind. „Pforzheim“ ist in der Anlage an sich gut. Aber wir haben das Problem, dass die IG Metall entsprechende Vereinbarungen in vielen Fällen viel zu spät billigt. In den meisten Fällen, in denen die Gewerkschaft solchen Regelungen zugestimmt hat, war es für das Unter-nehmen schon zehn nach zwölf. Deshalb ist dieses an sich gute Instrument vielfach gescheitert. Und deshalb sind wir für eine automatische Differenzierung.
Was verstehen Sie darunter?
Dabei werden bestimmte Parameter fest-gelegt, anhand derer Unternehmen Kosten reduzieren können, ohne dass die IG Metall zustimmen muss. Zusätzlich sollte die IG Metall in solchen Fragen viel mehr Verantwortung an die Betriebsräte übertragen. Wenn die Gewerkschaft jedes Mal mit am Tisch sitzen will, wird das schwerfällig und bürokratisch.
An diesem Freitag wird für Rheinland-Pfalz wieder verhandelt. Manche nennen jetzt Ostern als Zielmarke für eine Einigung. Ist das realistisch?
Es liegt nicht an uns, ob wir uns vor Ostern einigen können, sondern ausschließlich an der IG Metall. Es hängt davon ab, ob man unsere Argumente mal anerkennt, ob wir es in dieser Tarifrunde schaffen, über den Tellerrand hinauszuschauen und gemeinsam zu zeigen, dass wir die Nöte und Probleme in vielen anderen Branchen verstehen und ein Zeichen der Solidarität setzen. Wenn das geschieht, haben wir eine Lösung vor Ostern, wenn nicht, haben wir keine.
Die deutsche Automobilindustrie steht seit Längerem vor großen Herausforderungen. Manche sagen ihr schon das Schicksal der einst blühenden deutschen Eisen- und Stahlindustrie voraus. Ist das nur Schwarzmalerei?
Wir sind mitten im Strukturwandel, aber solchen Szenarien möchte ich vehement widersprechen. Wir haben viele technologisch gut aufgestellte Zulieferunternehmen, und wir haben Automobilhersteller, die momentan die besten Autos und die besten Verbrennungsmotoren weltweit bauen. Und die haben sich auch recht früh auf alternative Antriebskonzepte umgestellt, vielleicht auch, ohne dass das immer an die große Glocke gehängt wurde. Jetzt geht es darum, diese Technologien weiterzuentwickeln und weltweit zu exportieren. Denn wir tragen viel mehr zur Reduzierung von CO2 bei, wenn wir unsere guten Produkte schnell weiterentwickeln und international verkaufen. Wenn in Indien in jedes zweite Fahrzeug ein Brennstoffzellensystem eingebaut wird, am besten ein batterieelektrisches System, dann sichern wir hier Arbeitsplätze und Wohlstand ab und tun zugleich extrem viel zur Reduzierung von CO2. Ich würde mir wünschen, dass die IG Metall diesen Ansatz unterstützt und dabei hilft, dass unsere Unternehmen kostengünstig arbeiten können und Erträge erwirtschaften, mit denen sich die notwendigen Innovationen finanzieren lassen.
Aus der Politik wird gefordert, dass Unternehmen ihren Beschäftigten kostenlose Corona-Tests anbieten sollen, ja müssen. Wie stehen Sie dazu?
Die Unternehmen dazu zu verpflichten ist überhaupt nicht machbar, das ist weltfremd.
Warum?
Wenn wir davon ausgehen, dass in unserer Branche derzeit zweieinhalb Millionen Menschen im Betrieb arbeiten und zwei Tests pro Woche gemacht werden, wären das fünf Millionen Tests pro Woche. Also 20 Millionen Tests im Monat nur in unserer Branche. Da stellt sich, erstens, die Frage, wo diese Tests herkommen sollen. Und zweitens sind das erhebliche Kosten. Hinzu kommt: Die Akzeptanz, sich testen zu lassen, ist ganz unterschiedlich. Ich kann doch niemanden dazu verpflichten, sich testen zu lassen. Ich bin deshalb dafür, an die Unternehmen zu appellieren, solche Tests anzubieten. Und viele machen das bereits freiwillig.
Wir stehen am Beginn eines Superwahljahres, im September wird der Bundestag gewählt. Was erwarten Sie, was erwartet Ihr Verband von der neuen Bundesregierung?
Egal, welche Parteien die nächste Regierung bilden, erwarte ich, dass die Sozialversicherungsbeiträge bei den Unternehmen gedeckelt werden. Die Beiträge dürfen auf keinen Fall über 40 Prozent steigen, sollten eher noch ein bisschen sinken. Außerdem müssen wir versuchen, die Arbeitskosten zu reduzieren, damit Deutschland wieder wettbewerbsfähiger wird. Wir brauchen wieder mehr Flexibilisierungsinstrumente im Arbeitsrecht. Die Steuern, vor allem die Unternehmenssteuern, dürfen nicht erhöht, sondern müssen am besten reformiert werden, da liegen wir schon heute weltweit am oberen Ende. In den kommenden Jahren entscheidet sich, ob Deutschland weiterhin wettbewerbsfähig und für Unternehmen attraktiv ist, ob es Produktionsstandort bleibt. Wenn die künftige Regierung das nicht erkennt, werden wir eine massive Arbeitslosigkeit erleben und Wohlstand verlieren.
Dieses Interview ist in der Rheinpfalz erschienen.