Hessenmetall-Verhandlungsführer Oliver Barta: „Warnstreiks schaffen keine Aufträge“

Sie sind Verhandlungsführer Hessen in der Verhandlungsgemeinschaft Metall+Elektro im Bezirk Mitte (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland). Überrascht Sie, dass die IG Metall so schnell zum Streik greift?
Ja. Das ist eine für mich kaum vermittelbare Situation. Der Pandemie hat uns weiter im Griff. Wir kämpfen darum, das Jahr 2020 aufzuholen, und unser Tarifpartner hat nichts Besseres zu tun, als Rituale zu pflegen. Warnstreiks schaffen keine Aufträge.

Sie fordern eine Nullrunde. Das Metall-Unternehmen Daimler spart bei Mitarbeitern und schüttet dann Milliardendividenden aus.
Das Verhalten eines einzelnen Mitgliedsbetriebs will ich nicht kommentieren. Aber in der Branche ist die Nullrunde 2021 ohne Alternative. Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Krise und der Rezession, also dem Jahr 2018, liegen wir beim Umsatz und bei der Produktivität um 14 Prozent zurück. Deshalb gibt es 2021 leider nichts zu verteilen. Wir brauchen noch zwei oder drei Jahre, um vom 2018er Niveau aus Wachstum zu schaffen.

Aber einigen Firmen in der Metallbranche geht es gut.
Die Lage der Unternehmen ist sehr unterschiedlich. Mein Unternehmen Bosch Thermotechnik kam gut durch 2020. Die Maschinenbau und die Autozulieferer haben sehr zu kämpfen. Wir haben der IG Metall deshalb angeboten, im Tarifabschluss zu differenzieren. Gelingt das nicht, muss man das Prinzip des Flächentarifvertrags ernst nehmen: Er beschreibt Mindestbedingungen. Dafür muss man sich am Durchschnitt orientieren und nicht an den Glücklichen, die gut durch die Krise kommen.

Ist ein solch differenzierter Tarifvertrag Ihr Ziel?
Ja. Wir brauchen eine Differenzierung nach Kennzahlen. Auf Basis dieser Werte darf eine Absenkung vorgenommen werden – automatisch, wenn die Zahlen erreicht sind.

Wie wichtig ist diese Differenzierung?
Sehr wichtig. Das ist eine Bewährungsprobe für den Flächentarifvertrag. Wir sind mit den Branchen und ihren Unternehmen so unterschiedlich unterwegs, dass man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Die Differenzierung hilft den Tarifparteien und den Unternehmen.

Wie groß sind die Unterschiede in der Metall- und Elektro-Industrie?
Die Spreizung ist sehr groß. IT-Firmen oder Heizungsunternehmen geht es gut. Der Maschinenbau und die Autozulieferer sind zum Teil noch sehr weit unten. Den meisten Unternehmen in der M+E-Industrie geht es nicht gut. Den hessischen M+E-Firmen fehlen im Vergleich zu 2019 sechs Milliarden Jahresumsatz – pro Kopf 28 000 Euro. Wir müssen den Betrieben erlauben, das aufzuholen, um das alte Niveau zu erreichen. Und dann brauchen wir weiteres Wachstum, um über Verteilungsspielräume zu sprechen.

Es gibt aber eine starke konjunkturelle Erholung.
Die M+E-Industrie hat im vierten Quartal aufgeholt – aber auf der Basis des sehr schlechtes Vorjahresniveaus. Die Lage ist unsicher. Die Firmen brauchen Luft, um in den Strukturwandel und in die Qualifizierung der Mitarbeiter zu investieren, um nur das Vorkrisenniveau zu erreichen.

Schon 2020 gab es eine Nullrunde. Jetzt wieder?
Wenn man genau hinschaut, gab es keine Nullrunde. Die IG Metall sagt, seit 2018 habe es keine Erhöhung mehr gegeben. Wenn ich den Einmalbetrag von 350 Euro 2020 einrechne, dann ist das für drei Jahre seit 2018 eine Erhöhung von 8,3 Prozent im Schnitt. Das ist nicht wenig.

Wo sehen Sie Spielräume? Die Inflation zieht an, Ihre Mitarbeiter müssen mehr für Sprit und Strom zahlen.
Die Inflation 2020 war negativ. Die Produktivität ist auf dem Niveau von 2018. Wir haben also zwei Jahre aufzuholen. Deshalb sehe ich keine Verteilungsspielräume. Für 2022 sehe ich diese Spielräume. Wir wünschen uns eine Laufzeit von 27 bis 30 Monate, damit die Unternehmen Planungssicherheit haben. Wir sind auch bereit, über Elemente der Beschäftigungssicherung zu sprechen.

Wie ist das Verhandlungsklima?
Ich bin ein bisschen in Sorge. Die IG Metall hat die Gespräche in der dritten Runde relativ schnell beendet. Eine intensive Beschäftigung mit unseren Vorschlägen fand nicht statt. Aber am 12. März setzen wir die Gespräche fort.

Wie funktionieren Tarifgespräche in Corona-Zeiten?
Es sind hybride Gespräche. Eine Kerngruppe von zehn bis zwölf Personen trifft sich in einem Hotel in Mainz – mit viel Abstand und Maske. Jeder Teilnehmer wird zuvor getestet. Die weiteren Teilnehmer sind per Videokonferenz zugeschaltet. In anderen Bezirken wird parallel verhandelt.

Dieses Interview ist in der Fuldaer Zeitung erschienen.